Ab auf den Mars
Liebe ist komplexer als Pop: »Variationen über die Freiheit eines anderen/Der Himmel ist blau– Ein Alptraum in Stereo« von Fantas Schimun
Von Susan Geißler
Fantas Schimun und die großen Allerweltsgefühle Foto: myspace.com/schimun
Fantas Schimun, was für ein Name. Assoziativ irgendwo zwischen Sommerbadbrause und religiöser Übergeschnapptheit zu verorten, musikalisch erst mal ein freundliches Rätsel. Schimuns Album »Variationen über die Freiheit eines anderen« startet mit Gitarren und Zwitschervögeln, der zweite Song beginnt wie ein leiser, sanfter Abendhauch, und man braucht schon eine Weile, ehe einem das überhaupt auffällt, ehe man sich fragt, ob das jetzt wirklich ernst gemeint ist oder man virtuos aufs Glatteis geführt wird.
Allerdings, so leicht läßt sich das auch mit dem kritischsten Willen nicht entscheiden. Musikalisch werden in bester Popmanier die großen Allerweltsgefühle angerührt, Schmerz, Verlust, Einsamkeit, Sehnsucht, das ganze
Programm. Ein Song wie »Forget Her« läßt einen schmelzen, schwelgen in all dem Scheiß, der so weh tut und in den Schimun einen so Portishead-mäßig einhüllt, daß man sich glanzvoll selbst leid tut.
Auf der anderen Seite der Album-Titel, der alles andere als geschmeidig ist. »Variationen über die Freiheit eines anderen« ist das sehr offensichtliche Eingeständnis, daß die Konstruktion der Liebe vermutlich wesentlich komplexer ist, als Pop es allgemein behauptet. Eine Textzeile wie »Es war einmal groß/ jetzt ist es klein« ist die wunderbar auf den Punkt gebrachte Erkenntnis eines Liebesscheiterns, das am Ende vielleicht ganz undramatisch und naheliegend war– was die Sache aber eher noch schlimmer macht, vor der glänzenden Folie der ganz großen
Gefühle und Tragödien. Und plötzlich gewinnt auch das Vogelgezwitscher eine gewisse aggressive Beschaulichkeit.
Gefühle und Tragödien. Und plötzlich gewinnt auch das Vogelgezwitscher eine gewisse aggressive Beschaulichkeit. Der Song »Bon Tempi« wiederum arbeitet mit krassen Tempowechseln, die all jene frisch Verliebten irritieren dürften, die sich nun gerade bei Fantas Schimun mal was grundsätzlich Zärtliches sagen wollten. Und auch der »Schlager d’amour« wird vom akustischen Störteufel heimgesucht und von einem nüchternen Witz: »You’d like to find distance/and somebody else«. Das Bemerkenswerte daran: Die Songs sind weder hübsch und egal noch ambitioniert, aber unhörbar, sondern einfach nur an den richtigen Stellen kaputtgegangen.
Ganz unvermittelt taucht ein politischer Song auf, »Ich bin bis auf weiteres eine Demonstration«, der einem immer noch empfehlenswerten ZickZack-Sampler aus dem Jahr 2003 den Titel gab und im Verlauf der Anti-Haider- Proteste entstand, denn Fantas Schimun kommt aus Wien. »Ich lebe in einem Land, in der Frau gleich Familie, Umwelt gleich Landwirtschaft, Afrikaner gleich Drogendealer ist«, heißt es da in einem Vers, in dem Schimun in einem gigantischen Abwasch geschlechteremanzipatorische, ökologische und antirassistische Ideale für gescheitert erklärt, nicht ohne zu betonen: »Wir gehen, bis ihr geht«. Das ist so vorbildlich gesellschaftskritisch, daß man in all seiner gut geschulten Skepsis den Bruch im Song sucht. Vielleicht läuft man mit dieser fixen Idee einfach mal voll gegen den Baum, und die paar schiefen Trillerpfeifen des Unwillens am Ende des Songs können auch nicht die Auflösung sein.
Für wen der zweite Teil des Doppelalbums, »Der Himmel ist blau – Ein Alptraum in Stereo«, konzipiert ist, bleibt ein weiteres Rätsel des Schimunschen Universums. Es handelt sich um ein von Songs durchbrochenes Hörspiel, dessen Inhalt man vielleicht so zusammenfassen könnte: Am Ende fliegen ein paar Leute für neun Euro neunzig zum Mars, und ein Weltraumreiseveranstalter kann seinen Aktionären sieben Prozent Rendite anbieten. Offenheit für Abseitiges sollte man schon mitbringen, um die Sache durchzustehen. »Der Himmel ist blau« ist am ehesten als Almauftrieb sämtlichen Nachmittagstalkshow-Personals zu verstehen. Jeder Depp darf hier seine abgenudelte Befindlichkeit vorstellen: der stumpfsinnige Liebhaber, die belämmerte Hundemutti, das aus den Fugen geratene Bildungsbürgertum und der überdrehte Event-Unternehmer. Zum Mars, zum Mars, lautet die Devise, der Mond sei nun doch schon etwas abgedroschen. Vielleicht gar keine schlechte Zusammenfassung der allgemeinen Orientierungslosigkeit.
Fantas Schimun hat an ihrem Album »Variationen über die Freiheit eines anderen« seit 2002 gearbeitet. Es ist zwar ihr erstes Album, aber kein eigentliches Debüt. Den zweiten, entschieden experimentelleren Teil »Der Himmel ist blau« hat Schimun aktuell produziert. Im Vergleich wird klar: Die Frau verfolgt da eine spezielle Idee, die wenig mit Erwartungen und viel mit großem Staunen zu tun hat. Vermutlich wird ihr Doppelalbum niemals die Top-Ten erobern, schon weil die Genre-Frage für immer ungelöst bleibt, dafür aber die Plattensammlung von ein paar Leuten, die nicht die unsympathischsten sein können.
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